bis 29.05. | #0482ARTatBerlin | König Galerie zeigt ab dem 9. April 2016 die Ausstellung mit der Künstlerin Annette Kelm in St. Agnes | Nave.
Im Gegensatz zu einer Bildproduktion, die vor allem darauf abzielt, in digitalen Medien optimale Wirkungskraft zu entfalten, arbeitet Annette Kelm das Potenzial der Fotografie heraus, in der Reproduktion von Gegenstandswelten deren kulturelle Fundamente und alltägliche Aporien freizulegen.
Einerseits scheinen ihre Aufnahmen einer überaus sachlichen Darstellung von Gegenständen verpflichtet, die Genres wie das Stillleben und die Studiofotografie zitiert. Andererseits verleiht ihre streng formale Bildsprache mit neutralem Licht und objektiver Sicht auf arrangierte Objekte diesen eine hyperreale Präsenz, die sie aus dem Reich des bloß Faktischen herauslöst. Eingeebnet in die Fläche und frei von narrativer Aufladung, rückt das kompositorische Moment in den Vordergrund, das die Motive in ihrer visuellen Prägnanz mit geradezu rebusartiger Bedeutung auflädt. So sind die Dinge, was sie sind, transportieren aber auch eine abstrakte, ihnen bloß zugeschriebene Bedeutung. Es sind simple, gleichzeitig widerspenstige Motive, die weder in die Kategorie sachlicher Dokumentation noch in die zeichenhafter Repräsentation zu passen scheinen. Sie ebnen Gegenständliches bildhaft in die Ebene ein oder reihen es in fotografische Versuchs- und Belichtungsreihen ein. Häufig frontal und mit großer Detailschärfe abgebildet, markieren die minimalen, gleichwohl am Ornamenthaften orientierten Dingwelten die Übersetzung in den zweidimensionalen Raum der Fotografie. Dessen sich auf einen Blickwinkel verengende Perspektive ist Teil des fotografischen Dispositivs, aber auch Ausdruck einer subjektiven Sicht.
Alle Dinge, die auf diesen Fotografien zu sehen sind, haben einen geringen Wert. Es sind Gegenstände aus 1-Euro-Shops oder Fundstücke von der Straße, Pizzakartons oder Blumen vor einem an Mondrian erinnernden Hintergrund aus farbigem Papier. Ihre Inszenierung nobilitiert nichts, lässt die Dinge aber auch nicht einfach aus der Realität in kulturelle Bedeutungssphären abgleiten. Die auf dem Prinzip von Wiederholung und Variation basierenden Bilder, in denen diese Objekte im Mittelpunkt stehen, heben vielmehr das Fotografische selbst als Produktion von Zeichen und Bildern hervor. Gerade die Serialität erweist sich als Weg aus einem Bildbegriff, der in Repräsentation gefangen ist. Annette Kelms auf einer komplexen Strategie der Serie basierende Fotografie realisiert sich in diesem Sinne in immer schon differenten Wiederholungen. Balancing Wedge zeigt die gleiche, offenbar selbstgebaute Waage in unterschiedlicher Neigung. Die Aufnahme eines Pizzakartons, auf dem ein expressiv geformtes Stück Borke ruht, kontrastiert industrielles Standardprodukt und natürlich gewachsenes Fundstück, wird aber erst in der jeweils leicht abweichenden Darstellung zum enigmatischen Bild über die Fotografie als Zeichensystem. Und auch das Porträt der Künstlerin Lucie Stahl, das diese hinter einer roten Jalousie zeigt, ist ebenso sehr formale Komposition wie Studie über Nähe und Distanz, Bild und Abbild.
Das vor leuchtend gelbem Hintergrund aufgenommene Jeanshemd, auf dem eine Tasse mit aufgemaltem Gesicht platziert ist, könnte ein Selbstporträt der Künstlerin sein. Der Jacquard-Webstuhl mit seinem Lochkartensystem ist ein Vorläufer des Binärsystems moderner Computer. Instrumentalität, das machen diese Bilder deutlich, ist jedoch nur eine und vermutlich nicht einmal die wichtigste Kategorie in unserem Umgang mit den Dingen, die stets auch Platzhalter für etwas anderes sind.
Text: Vanessa Joan Müller
Annette Kelm (*1975, Stuttgart) lebt und arbeitet in Berlin. Sie gehört zu den wichtigsten Vertetern zeitgenössischer Fotografie aus Deutschland und wurde jüngst mit dem Camera Austria-Preis ausgezeichnet. Neben Gruppenausstellungen wie der 54. Venedig Biennale (2011) und aktuell im Kunstmuseum Bonn (2016) wurden ihre Arbeiten im Rahmen von Einzelausstellungen in internationalen Institutionen präsentiert, darunter Museum of Contemporary Art Detroit (2016), VOX. Center of Contemporary Image, Montréal (2016), Kölnischer Kunstverein (2014), Städel Museum, Frankfurt am Main (2012), KW – Institute for Contemporary Art, Berlin (2009), Kunsthalle Zürich (2009) und Witte de With, Rotterdam (2008). Annette Kelm ist in den Sammlungen der Tate Modern, London; des Museum of Modern Art, New York, des Centre Pompidou, Paris; des Kunsthauses Zürich, Schweiz und des Guggenheim Museum, New York vertreten.
Vernissage: Samstag, 09. April 2016, 18 bis 21 Uhr
Ausstellungsdaten: Samstag, 09. April bis Sonntag, 29. Mai 2016
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Bildunterschrift: Annette Kelm, Found Object (Balance) (detail), 2016, C-prints, 5 parts, framed, each 113 x 91 cm, Ed. of 6 + 2 AP
Annette Kelm – König Galerie – Kunst in Berlin ART at Berlin