bis 29.10. | #3574ARTatBerlin | Galerie Barbara Thumm präsentiert ab 10. Semptember 2022 (Vernissage 09.09.) die Ausstellung “ People in Conditions“ der Künstlerin Carrie Mae Weems.
Als eine der einflussreichsten zeitgenössischen US-amerikanischen Künstlerinnen hat Carrie Mae Weems im Laufe von über vier Jahrzehnten ein komplexes multi-mediales Werk geschaffen, in dem soziopolitische Fragen unserer Zeit verhandelt werden. In ihrer künstlerischen Praxis nähert sich Weems kritisch-reflexiv Diskursen zu Post- und Neokolonialismus, Identität, systemischen Beziehungskonstellationen, Geschlecht, Klasse sowie politischen und sozialen Machtverhältnissen. Durch Weems‘ performativen Ansatz geeint, verbinden sich in der Ausstellung „People in Conditions“ in den Räumen der Galerie Barbara Thumm lokale und globale, vergangene und zukünftige, aber auch individuelle und kollektive Narrative. Die Ausstellung bietet durch die Präsentation von Werken aus der frühesten Schaffensperiode der Künstlerin bis zu ihrer allerneuesten Arbeit „People in Conditions“ allumfassende Einblicke in Weems vielschichtiges Oeuvre, in welchem die kolonialistische Kulturgeschichte des Westens und die Rolle Schwarzer Künstler*innen in dieser ebenso verhandelt werden, wie die hegemonialen Strukturen gesellschaftlicher und institutioneller Repräsentationspraktiken.
Das Herzstück der Ausstellung und Namensgeberin dieser ist Weems neueste Arbeit „People in Conditions“, die in der Galerie Barbara Thumm erstmalig der Öffentlichkeit präsentiert wird. Sie ist eine Weiterentwicklung von Weems‘ Videoarbeit „Cyclorama – Conditions, A Video in 7 Parts“, welche Weems 2021 für die Ausstellung „The Shape of Things“ in der Park Avenue Armory, New York City, produziert hat. Die bläulich eingefärbten Fotografien zeigen im Regen und Schnee stehende Choreograph*innen und Performance-Künstler*innen wie Gabri Christa, Okwui Okpokwasili und Vinson Fraley. Die Modelle den Betrachter*innen frontal zuwendend, eröffnet Weems den Blick auf Kunst- und Kulturschaffende in ihrer puren Daseinsform und Schönheit, konfrontiert mit den simultan bestehenden gewaltvollen und hoffnungsbringenden Realitäten unserer Zeit. Im Zentrum der Arbeit steht die Frage, wonach sich der Wert eines Lebens bemisst. So beschreibt Weems: „Wenn man an die Weite des Universums denkt, in dem wir leben, sind wir Staub im Wind – und doch sind wir hier.“
„People in Conditions“ tritt in der Ausstellung in einen Dialog mit weiteren bedeutenden Arbeiten der Künstlerin, die mitunter während ihrer Aufenthalte in Berlin entstanden sind. Hierdurch verbindet sich die Geschichte der Hauptstadt mit globalen historischen Diskursen derer, die Gewalt ausüben und jener, die sich dieser widersetzen.
Für die Arbeit „Holocaust Memorial“ besuchte Weems 2007 in Berlin das von Peter Eisenman entworfene und nur zwei Jahre zuvor eröffnete Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Die strenge architektonische Struktur des Mahnmals aufgreifend, dokumentieren die in der Ausstellung gezeigten drei Fotografien Weems‘ Alter Ego, das vor keinem Publikum, dafür aber von einer Foto- und Videokamera begleitet, performt. In einer starren Zentralperspektive erscheint und verschwindet die Figur zwischen den repetitiv angeordneten Stelen, welche in ihrer Monotonie das Ausmaß des Verbrechens gegen die Menschlichkeit manifestieren. Durch die Interaktion mit dem Lieux de Mémoire (frz: Erinnerungsort), in der die Figur kontinuierlich zwischen Präsenz und Absenz changiert, untersucht Weems den Ort auf sein erinnerungskulturelles Potenzial und weist hierdurch einmal mehr auf das fragile Gleichgewicht unserer Weltgemeinschaft hin. Sie nutzt ihren Körper zur Aktivierung und Aktualisierung der Debatten zu Rassismus und Diskriminierung und weist auf die Notwendigkeit einer kontinuierlichen Auseinandersetzung mit diesen Themen hin.
Ein Jahr zuvor fotografierte Weems das Berliner „Pergamon Museum“ (2006) für die „Monument Series“. Erneut ist ihr Alter Ego Teil des Bildes und wendet in der Betrachtung des Museums einem den Rücken zu. Den Bildaufbau so konzipiert, dass die Szene großzügig die Sicht auf Person und Museum freigibt, fügt sich der eigene Blick als Extension in diese Observation ein. Eine Balustrade separiert die Figur und das Museum. Sie symbolisiert neben der räumlichen Trennung die Exklusion Schwarzer Künstler*innen aus öffentlichen modernen Museen und somit aus dem kunsthistorischen Diskurs Europas. Das Missverhältnis zwischen.
Carrie Mae Weems, Vinson 2021, 152,4 x 121,9 cm, digital archival print
Schwarzen Künstler*innen und musealen Kulturinstitutionen wird insbesondere durch die Größenver hältnisse im Bild versinnbildlicht, in denen Weems‘ Körper vor dem monumentalen Repräsentationsbau verschwindend klein erscheint. Gleichzeitig konkretisiert der fotografierte Körper einen Widerstand, der die Präsenz und Persistenz von Schwarzen Künstler*innen verdeutlicht, die trotz des institutionellen Ausschlusses und der Barrieren ihr Recht auf Sichtbarkeit verteidigen.
In “Someone to watch over me” (2008) wenden sich vier Schwarze Frauen einander in einem Garten stehend zu. Sie alle tragen weiße Engelsflügel auf ihrem Rücken. Wenn auch nicht in Berlin entstanden, so verbindet sich dennoch Weems‘ Fotografie mit Wim Wenders Film „Der Himmel über Berlin“, in dem Engel die Geschichte der Menschen nicht ändern können, letzteren aber den Mut zusprechen sich ihrer Zukunft selbst zu ermächtigen. „Someone to watch over me“ stammt aus Weems‘ Werkserie „Constructing History“, die gemeinsam mit Studierenden des Savannah College of Art and Design und weiteren lokalen Gemeinschaften in Atlanta entstanden ist. Das Projekt widmet sich historischen Schlüsselmomenten politischer Gewalt, deren ikonische Bilder und visuelle Bildsprache szenisch nachgestellt und neu interpretiert worden sind. So zeigen die Bilder einerseits auf, dass die Geschichte der Menschen auch eine Geschichte der Gewalt ist, andererseits aber auch, dass die Aneignung von und der Umgang mit ikonischen Momenten der Gewalt und Trauer ein Potenzial für gesellschaftliche Veränderung offeriert.
Auftakt und Abschluss der Ausstellung bildet eine wandfüllende Fotoarbeit, die Weems 1978 in Harlem aufgenommen hat. Der New Yorker Stadtteil galt als Zentrum für afroamerikanische Politiker*innen, Intellektuelle und Kulturschaffende und war ein wichtiger Begegnungsort der US-amerikanischen Jazzszene, welche auch Weems in ihrer künstlerischen Praxis stets beeinflusst hat. Gleichzeitig war Harlem in den 1970er Jahren von Gewalt und Kriminalität gezeichnet, die das Gemeindeleben beeinträchtigten und die vorwiegend Schwarzen Einwohner*innen stigmatisierten. Die Fotografie stammt aus den Anfängen von Weems‘ Karriere. Es konkretisiert ihr allumfassendes Anliegen Schwarze Kultur und das eben, das sie umgibt, zu beschreiben und zu definieren. Dabei dokumentiert sie nicht nur die Entwicklungen von Gesellschaft und Kultur, sondern zeigt ebenso deren Möglichkeiten und Perspektiven auf.
Carrie Mae Weems, Liz 2021, 152,4 x 121,9 cm, digital archival print
Über die Künstlerin
Carrie Mae Weems (geb. 1953 in Portland, USA) ist eine der einflussreichsten US-amerikanischen Künstlerinnen der Gegenwart. Im Laufe von fast vier Jahrzehnten hat Weems ein komplexes Werk zwischen Fotografie, Film, Performance und Installation geschaffen, für welches sie Bild, Text, Stoff, Audio und Video nutzt. Sie integriert populärkulturelle Elemente und verschiedene Mode- und Musikgenres in ihre künstlerische Praxis. Meist als Werkserien konzipiert, verhandelt sie in ihren Arbeiten pressierende Probleme unserer Zeit und analysiert die komplexen soziokulturellen und historischen Zusammenhänge einer globalen Weltgemeinschaft. Dabei widmet sie sich insbesondere der Untersuchung hegemonialer Machtstrukturen, die sich durch rassifizierte Gewalt, Armut und Sexismus begründen. Sie analysiert in ihren Arbeiten die Qualität visueller Kulturen und fragt kritisch nach dem Stellenwert und Einfluss von Medien bei der Konstruktion von Rasse, Klasse und Geschlecht. Gleichzeitig erforscht sie die Potenziale einer medialen Selbstermächtigung, die die persönliche Identität ebenso wie die kollektive Teilhabe an Diskursen stärken.
Weems hat weltweit an zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen teilgenommen, darunter im Metropolitan Museum of Art, New York, dem Solomon Guggenheim Museum, New York, dem Frist Center for Visual Art, Nashville, und dem Centro Andaluz de Arte Contemporáneo, Sevilla. Im April 2022 eröffnete ihre bis dato größte Einzelausstellung in Deutschland im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart. Sie hat etliche Preise und Stipendien erhalten, zuletzt den Artes Mundi Prize 2021, und das Artist-inResidence Programm des Park Avenue Armory. Weems‘ Arbeiten sind weltweit in öffentlichen und privaten Sammlungen vertreten, darunter das Metropolitan Museum of Art, New York, das Museum of Fine Arts, Houston, das Museum of Modern Art, New York, das Museum of Contemporary Art, Los Angeles, und das Tate Modern, London.
Vernissage: Freitag, September 9 , 18.00 – 21.00 Uhr
Ausstellungsdaten: Samstag, 10. September – Samstag, 29. Oktober 2022
Zur Galerie
Ausstellung Carrie Mae Weems – Galerie Barbara Thumm | Zeitgenössische Kunst in Berlin | Contemporary Art | Ausstellungen Berlin Galerien | ART at Berlin