bis 22.07. | #3930ARTatBerlin | FeldbuschWiesnerRudolph (FWR) präsentiert ab 09. Juni 2023 „ENTER:lapidarium“ die erste repräsentative Einzelausstellung des Künstlers Daniel M.E. Schaal.
„Es (geht) mir immer wieder um meine Zeitgenossenschaft. Um zu beobachten und einzuordnen, was es heißt, ein Körper zu sein in der westlichen Gesellschaft. Ein Körper, der Systeme verursacht, die hinterfragt werden müssen, aber dennoch als Körper existiert (…)“ (Daniel M.E. Schaal, 2023)
Entsprechend dem Ausstellungstitel (*„Lapidarium“ = die Ansammlung der für einen Ort historisch relevanten oder sogar geweihten Skulpturen, Objekte oder Fragmente) wird der Besucher mitgenommen auf eine Reise prozessorientierter wie konzeptueller Werke, die ihr Narrativ in den Momentaufnahmen von Schaals beeindruckend großer medialer Vielfalt zum Ausdruck bringen. Das geschieht bspw.e als Malerei auf Leinwand, als singuläre wie serielle Druckgrafik auf Bütten und Kartonagen, oder es transformiert sich als frei vor der Wand schwebendes monumentales handgewebtes Textil.
Daniel M.E. Schaal, Ausstellungsansicht in der Galerie FeldbuschWiesnerRudolph
Schon zu seinen Studienzeiten an der UdK Berlin gewann der Künstler erste öffentliche Aufmerksamkeit aufgrund seiner Kollaboration im Performance-Duo SANDER/SCHAAL sowie durch seine faszinierenden Druckgrafiken. In der Galerie ist eine mehr als 20m messende Papierbahn über Kopfhöhe installiert und durchläuft die gesamte Länge der Ausstellungsräume. Auf diese Weise sprengt Daniel M.E. Schaal das gewohnte Format und der Besucher kann entlang des Raum-Zeit-Kontinuums seiner Body-Performance prozessieren und daran partizipieren. Auf der nach unten gerichteten Bildseite finden sich die im Druckverfahren wiedergegebenen Texturen von Verpackungen und Kartonagen und lassen über die individuellen biografischen Prozesse und das Verhalten in einer konsumorientierten Gesellschaft reflektieren.
„Mich faszinieren alle Materialien, die in unserem täglichen Leben zirkulieren. (…) Was wir sein wollen, was wir meiner Meinung nach bewahren wollen: Es steckt in den zahlreichen Verpackungsmaterialien, die täglich um die Welt zirkulieren. Doch der gewünschte Inhalt ist vergänglich, sein zugeschriebener Wert meist nach kürzester Zeit nicht höher als der seiner Originalverpackung.“ (Daniel M.E. Schaal, 2022)
Wie in seiner Kunst so gibt es auch in der Biographie Daniel M.E. Schaals weniger einen Haupt- als vielmehr eine Reihe sich kreuzender und gegenseitig durchdringender Nebenwege. So absolvierte der 1990 bei Stuttgart geborene Daniel M.E. Schaal im Sommer 2022 sein Studium der Bildenden Künste bei Prof. Valerie Favre. Zuvor erlangte er den Bachelor im Fachbereich Theaterwissenschaften an der Ludwig Maximilians Universität München (2014), den Bachelor im Fb. Kunstwissenschaft und Kunst im Lehramt an der Humboldt Universität Berlin und der UdK Berlin (2017, 2019). In der Schulzeit lag Schaals Fokus auf der Musik und er machte ein Musikabitur mit dem Schwerpunkt Klavier. Seine langen Druckbahnen auf Papier plant der Künstler demnächst als Partitur umzuschreiben und von Musikern performen zu lassen.
Daniel M.E. Schaal, Ausstellungsansicht in der Galerie FeldbuschWiesnerRudolph
Vor dem Hintergrund seiner musikalischen Ausbildung sowie seinen Erfahrungen im Bereich von Bühne und Theater kann man die künstlerischen Werke Daniel M.E. Schaals als eine Art von Inszenierung betrachten. Sein im Eingangsbereich der Galerie frei vor der Wand schwebende Tapisserie misst monumentale 3,20 m und trägt den Titel„RE_(T)“. Mit dem Kürzel „RE“ verweist der Künstler auf eine Rückbezüglichkeit, resp. Die Wiederverwendung von „(T)“ = Textilien. Wie bei seinen Druckgrafiken auf Papier greift Daniel M.E. Schaal auch für seine Tapisserie auf autobiografische Materialien zurück – nämlich seine abgetragene Kleidung. Die Lieblingsfarben seiner Alltagsgarderobe scheinen ein dunkles Blau sowie verschiedene Hell-Dunkel-Abstufungen von Grau zu sein. Jedes Textil wurde in schmale Streifenbahnen zerschnitten, wobei keine Rücksicht auf Nähte, eingestickte Logos o.ä. genommen wurde. Ein kleiner Webrahmen für Kinder diente Schaal zum Weben der kleinformatigen Einzelstücke, welche am Ende zu einem abstrakten Komposit zusammengelegt und miteinander vernäht wurden. Die vermeintliche Wertung von Markenklamotten geht so auf in einem universellen Werk der Kunst, welches jegliche Differenzierung von Status und Herkunft unterläuft.
Augenscheinlich ist das künstlerische Werk Daniel M.E. Schaals geprägt von der Strategie und Inszenierung des Akts der Wiederholung. Im einzelnen Werk macht sich die Repetition inform immer desselben Motivs bemerkbar – ob als Ab-Druck derselben Vorlage (z.B. der Kartonagen) oder in der Repitition der selben Form, nämlich dem Ziehen von Linien in seinen Werken auf Leinwand. Tatsächlich gleichen Schaals Malereien einem Vollgewebe, das einen unbestimmbaren, unendlichen Raum suggeriert. So führt der Künstler mit kleinem Pinsel und bspw.e in einem Neonrot die Linien von einer bis hin zur gegenüberliegenden Bildkante über die Leinwand. Dabei bilden sich die Linien mal dicker mal dünner im Duktus ab und sind wie eine Lautmalerei, die mal auf- und wieder abschwillt. Mal dichter gesetzt und dann wieder mit größerem lückenhaften Abstand, in der Richtung eigentlich rechtwinklig sich kreuzend, und dann bisweilen auf halber Strecke wieder abbrechend…; so verlieren sich die Linien im unbekannten Raum. Dieser „Raum“ ist oft ein dunkles, hier bläuliches Schwarz, dessen vermeintliche Tiefe von den Kreuzungspunkte der Linien vergleichbar winzige elektrischen Kontakte oder wie freigelegte Synapsen momenthaft aufgehellt wird. Es ist, als verlöre sich das Auge des Betrachters in einer undurchdringlichen Matrix aus 0 und 1. Passend zum Werkserientitel: „BOAZ“ – „Beyond One And Zero“.
Daniel M.E. Schaals Strategie der ständigen Wiederholung vermittelt beim Betrachter das Gefühl, der Künstler operiere im Rahmen eines selbst definierten Systems mit endlos neuen.
Daniel M.E. Schaal, Ausstellungsansicht in der Galerie FeldbuschWiesnerRudolph
Versuchsreihen respektive einem Ritual folgend. Das Autobiographische erfährt in diesem Akt der Repitition die Verwandlung in etwas Gesellschaftlich-Verfügbares. Und durch das Ritual der Wiederholung ist es, als würde jegliche Statusunterscheidung zwischen Subjekt und Objekt aufgehoben. Über das Ritual der Wiederholung und die mehrschichtige Überlagerung desselben Motivs entspinnt sich ein symbolischer Kreislauf zwischen Werden und Vergänglichkeit, eine Reflexion über Spur und Bedeutung, über unser Handeln im öffentlichen und privaten Umfeld. Daniel M.E. Schaal ersetzt in seiner Arbeit als Künstler den persönlichen Ausdruck durch den performativen Abdruck. So kreiiert er eine Symbiose zwischen Bild und Körper, die in die neue Ästhetik einer anthropologischen Abstraktion mündet.
Denn nach Auffassung des französische Kunstkritikers und Kurators Nicolas Bourriaud sind die Künstler die Anthropologen unserer neuen Beziehungslandschaft.
„Entgegen der Devitalisierung der Welt gelingt es der Kunst, bestimmte Aspekte der sozialen Funktion und der spirituellen Praktiken unserer Gesellschaften zu bewahren und zerrissene Verbindungen wieder zusammenzunähen.“ (NBourriaud, „Inclusions Aesthetics of the Capitalocene“, 2022/23).
Vernissage: Freitag, 09. Juni 2023, 18:00 – 21:00 Uhr
Ausstellungsdaten: Samstag, 10. Juni – Samstag, 22. Juli 2023
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Bildunterschrift: Daniel M.E. Schaal, Rotation 3.1., 2022, Gravure print auf Bütten, 200 x 124 cm, Unikat
Ausstellung Daniel M.E. Schaal – FeldbuschWiesnerRudolph | Zeitgenössische Kunst in Berlin | Contemporary Art | Ausstellungen Berlin Galerien | ART at Berlin