bis 17.08. | #4322ARTatBerlin | Galerie Judin zeigt ab 15. Juni 2024 (Vernissage: 14.06.) die Ausstellung The Raft des Künstlers Hugo Wilson.
Hugo Wilson hat „The Raft“ („Das Floß“) als Titel für seine kommende Berliner Ausstellung gewählt. Das weckt natürlich sofort Assoziationen an das berühmteste Floß der Kunstgeschichte, Gericaults Floß der Medusa – und unweigerlich an das Thema „Erlösung“. Wie passt das nun zu dieser Ausstellung, der ersten, in der seine abstrakten und seine figurativen Werke nebeneinander gezeigt werden.
Zunächst einmal müssen wir die beiden Pole verstehen, zwischen denen Wilsons Werk schwankt. Auf der einen Seite gibt es die figurativen, sehr konkreten Kompositionen, in denen Tiere eine entscheidende Rolle spielen. Sie sind Metaphern für komplexe Prozesse und Momente – nicht im Tierreich, sondern in unseren hochtechnisierten menschlichen Gesellschaften. Der Doppelaffe zum Beispiel, den wir in ReTro sehen, ist das Ergebnis jüngster Klonexperimente. Das Symbol im Hintergrund verweist sogar auf das entsprechende Labor. Auch Wilsons Pferde (State I und II) können symbolisch gelesen werden. Sie sind Versionen des berühmten Gemäldes Whistlejacket (1762) von Georges Stubbs, das heute zu den Ikonen der Sammlung der National Gallery in London gehört. Es zeigt ein stolzes, lebensgroßes Rennpferd vor einem flachen, monochromen Hintergrund. Es war ein kühnes, höchst unkonventionelles Bild in einer Zeit, in der nur hochrangige Persönlichkeiten auf diese Weise porträtiert wurden. Stubbs‘ Meisterwerk, auf dem kein Reiter zu sehen ist, wurde zu einem Emblem für britisches Selbstbewusstsein und Stärke – mit anderen Worten: ein Bild, das eindeutig von staatlicher Macht zeugt. Hugo Wilson hat dies aufgegriffen und das Tier, das uns in Stubbs‘ Gemälde beim Klettern anschaut, so gedreht, dass es uns nun sein Hinterteil zuwendet und mit den Hinterbeinen nach dem Betrachter tritt. Das Tier schert sich nicht um unsere metaphorischen Annahmen und seine nationale Bedeutung. Seine minutiös ausgeführten, meisterhaften Porträts zeigen, dass Wilson einen zeitgemäßen Ansatz verfolgt: Er interessiert sich dafür, wofür bestimmte Motive stehen – und zwar warum. Wie werden bestimmte Bilder zu Symbolen, zu einem Halt, zu einem rettenden Floß in einem Meer von Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit? Und was passiert, wenn diese Symbole ihre Klarheit und Sicherheit verlieren? Wie kann das überhaupt passieren?
Überraschenderweise gehen die abstrakten Werke des Künstlers in die gleiche Richtung. Diese Gemälde und sehr großformatigen Zeichnungen haben einen figurativen Ausgangspunkt, der in intensiven Überarbeitungen bis zur Unkenntlichkeit abstrahiert wird. In den meisten Fällen ist der Betrachter nicht in der Lage, diesen Weg, den der Künstler gewählt hat, vollständig nachzuvollziehen. Die wenigen Anhaltspunkte, die uns der Künstler in seinen Kompositionen gibt, nehmen wir gerne auf: Wir stellen Assoziationen her, versuchen zu unterscheiden, was beabsichtigt ist und was tatsächlich gemalt wurde – und suchen eine Interpretation dafür. Das ist unser sehr menschliches Bedürfnis nach Klarheit, unsere Suche nach Sinn und Zweck – um der Erkenntnis zu entgehen, dass wir im Grunde genommen verloren sind. So kann selbst der kleinste Hinweis zu einem „Floß“ unseres Verständnisses werden. Und damit schließt sich der Kreis der Überlegungen, auf die uns Hugo Wilson in dieser Ausstellung mitnimmt: Denn die Flöße, auf die wir uns retten, sind eine wackelige Angelegenheit. Sobald wir glauben, auf sicherem Boden zu stehen, brechen sie mit Sicherheit wieder auseinander und unser Verständnis wird erschüttert. Und das ist leider die etwas beunruhigende Schlussfolgerung, die wir aus unserer Reise durch Wilsons Bilder ziehen: Wir werden nie ganz festen Boden erreichen.
Das technische und motivische Repertoire des 1982 in London geborenen britischen Künstlers Hugo Wilson wirkt fast anachronistisch. In der Tradition der Allround-Künstler, wie sie in der italienischen Renaissance aufkamen, bewegt sich Wilson flink zwischen verschiedenen künstlerischen Ausdrucksmitteln und schafft Gemälde, Zeichnungen, Drucke und Skulpturen spielerisch, aber mit absoluter Präzision und stupender Handwerkskunst. In jüngster Zeit hat Wilson seinem Medienspektrum eine weitere Facette hinzugefügt und sich der Skulptur im Freien zugewandt.
Vernissage: Freitag, 14. Juni 2024, 18:00 – 20:00 Uhr
Ausstellungsdaten: Samstag, 15. Juni – Samstag, 17. August 2024
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Bildunterschrift Titel: Hugo Wilson, State I, 2023, oil on linen, mounted on panel, 295 × 247 cm
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