bis 17.10. | #2864ARTatBerlin | WENTRUP zeigt ab 9. September 2020 die Ausstellung „Mantis Mannequins“ mit Werken des Künstlers Jan-Ole Schiemann. Das Interview mit dem Künstler im Rahmen des Gallery Weekend 2020 und Hintergrundinformationen zu seinem Werk finden Sie auf DEEDS.WORLD.
Zur Eröffnung des Gallery Weekends Berlin, freut sich Wentrup unter dem Titel Mantis Mannequins die erste Einzelausstellung von Jan-Ole Schiemann in der Galerie zu präsentieren.
Ausgehend von einem visuellen Vokabular komplexer Formen und surrealer Körperfragmente oszillieren Jan-Ole Schiemanns Werke zwischen abstrakter Malerei und anthropomorpher Figuration. Seine Bildwelten erschaffen dabei ein dichtes, teils transparentes Geflecht, welches die Konturen definierter, räumlicher Gefüge zugunsten einer verwobenen Komposition aufkündigt. Die Strukturen des auf der Grundlage von Schablonen und schattenhaft verlaufenden Tintenflächen geschaffenen Bildraumes scheinen sich endlos tief in die Bildflächen einzuarbeiten. Fein verweben sie sich in den Malereien zu einem sich überlagernden Netz, das collageartig die multiplen Bezüge aus Comic, gestischer Abstraktion und frühem Animationsfilm aufgreift, um sie in immer neuen Varianten zu verknüpfen.
Jan-Ole Schiemann, Matcha Mantis, Tinte, Acryl, Holzkohle und
Ölpastell auf Leinwand, 230 x 200 cm, 2020
Die großformatigen Werke entstehen dabei nicht nur im Dialog mit ihren Referenzen, sondern koppeln sich im kontinuierlichen Wechsel an eine in Zeichnungen und Aquarellen selbsterzeugte Formsprache. In ihr umreißen Bleistift und Tusche organische Details, zerlegen hybride Körpergebilde und verbinden ausschnitthaft Linien, um sich in den Malereien vor uns abermals synthetisch in ein gänzlich neues Bilduniversum zu verformen.
Basierend auf dem assoziativen Formenkosmos einer Bleistiftzeichnung, unterliegt auch Mantis Mannequins einem symbiotischen Beziehungskonzept, auf dessen Grundlage die Arbeiten der neuen Bildserie in formal wie motivisch enger Relation miteinander entstanden. Die Zeichnung ist dabei der Ausgangspunkt, die Uridee, aus der sich in einem pseudoevolutionären Prozess verschiedene Ausformungen von Malerei entwickeln. Kraftvoll und bestimmt durch signalhafte Farbflecke in schimmernden Rot- und Blautönen erzeugen sie einerseits ein dynamisches Dickicht, dem sich die Versatzstücke der ursprünglichen Formelemente trickreich anpassen. Ihm gegenüber wenden sie sich in einem weiteren Bild in eine nur auf den ersten Blick ruhige Staffelung aus schwarzen Linien, welches sie nur noch erahnen lässt. Nur, um ihre organischen Körperteile bestehend aus Kreisen, Spiralen und abstrakten Fühlern plötzlich zwischen dunklen Überlagerungen, angedeuteten geometrischen Segmenten oder in einem rot, schwarz und weiß zerlaufender Formengemisch aufblitzen zu lassen. Umrisse, Linien und Flächen schreiben sich hierin als Ergebnis eines automatischen Zeichenprozesses rhythmisch fort. Bild und Zeichnung wissen aufgrund ihrer Verwandtschaft hier voneinander, verselbständigen sich doch die Spuren der ursprünglich gezeichneten Komposition als Fragmente in den malerischen Arbeiten der Serie erneut zu Environments – zu Beziehungen von Objekt und Umgebung sowie ambivalenten Raumgefügen.
Jan-Ole Schiemann, Matcha Mantis, Detail, 2020
Wie der Prozess der Bildfindung in der Malerei selbst, ist die unterliegende Zeichnung ebenso Medium eines Erkenntnisprozesses, indem sich die titelgebende Figur der Mantis vor unseren Augen schemenhaft zu erkennen gibt. Abgeleitet vom lateinischen Namen der Gottesanbeterin – „mantis religiosa“ – steht sie dabei wie jedes einzelne Bild für die Verkörperung einer Vielfalt. Für eine Reihe von unterschiedlichen Erscheinungsformen, durch die sie sich farbenprächtig und teils bis zur Unsichtbarkeit gleich posierenden Mannequins in den Werken stets lustvoll neu inszeniert. Als Extrembeispiel von evolutionärer Nischenbildung und Anpassung an ihre Umgebung bewegt sie sich als anthropomorphes Motiv dabei wie eine humorvolle Gestalt unbeschwert durch die Bilder der Serie. Grazil gebogen und mit großen Augen vor einem vage umrissenen und sich in ein Gemenge aus blassrosa und gelb-orangen Farbwolken verflüchtigenden Hintergrund, als Imitation einer abstrakten Schichtung von Formen oder als figurative Silhouette, deren Konturen zwischen satten grünen Flächen plötzlich erscheinen. All diese Beobachtungen scheinen zuzutreffen, um das schälmisch-formale Versteckspiel ihrer Mimikry auf den Leinwänden zu beschreiben. Einen Tarneffekt, durch welchen sie sich wie die Kompositionen dem Blick des Betrachters im gleichen Maße
entziehen, wie sich im nächsten Moment vor ihm wieder als eigenes formales Gegenstück zu erkennen geben.
Die Figur der Mantis wird hier zum Symboltier, deren Fähigkeit zum konstanten Wechsel zwischen Tarnung und Enthüllung nicht allein den spielerischen Entzug in eine unserer Wahrnehmung verschlossene Bildwelt ermöglicht. Vielmehr ist sie ein Zeichen malerischer wie evolutionärer Freiheit, das idealisierte Narrative von Tier-, Bild- und Pflanzenwelt vermischt und die gestischen Kompositionen der Werke als Projektionsflächen offenbart, die unsere entstehenden Assoziationen im Prozess kontinuierlicher Selbstabstraktion erweitern.
Wie Mannequins wechseln die Malereien dabei ihre teils grotesk-fantastische Erscheinung und weisen in der steten Verdauung ihres ursprünglichen Formrepertoires den Bruch eines selbstgenerierten Plans ihrer Anlage als notwendige Bedingung der Bildfindung aus. Hierbei kehren die Kompositionen ihre graphischen Linien von innen nach außen, verzahnen sich neu mit dem organischen Gefüge der Formen und legen abermals Spuren, die gleichermaßen ambivalent auf ihren Ursprung wie auf ihre Fortschreibung deuten. Auf einen Prozess, in welchem die Mantis gemäß dem Titel sprichwörtlich zum Mannequin wird – zu einem Symbol, das Figuration und abstrakte Malerei als etwas Fließendes begreifbar macht und durch Maskierung und Imitation schelmenhaft miteinander im steten Wandel von Form und Farbe verbindet.
Text: Philipp Fernandes do Brito
Jan-Ole Schiemann (*1983 in Kiel) studierte an der Kunsthochschule Kassel und an der Kunstakademie Düsseldorf bei Albert Oehlen und Andreas Schulze. Seinen Meisterschüler machte er bei Andreas Schulze. Schiemann lebt und arbeitet in Köln.
Arbeiten von Jan-Ole Schiemann befinden sich in den Sammlungen des Bronx Museum, New York; der Craig Robins Collection, Miami; der Hort Family Collection, New York; The Marciano Collection, Los Angeles; Museum of Contemporary Art Detroit; Rubell Family Collection, Miami und der Margulies Collection, Miami.
Ausstellungsdaten: Mittwoch, 9. September – Samstag, 17. Oktober 2020
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