verlängert bis 19.04. | #2711ARTatBerlin | Sprüth Magers Berlin zeigt ab 11. März 2020 die Installation THE SOVEREIGN CITIZENS SESQUICENTENNIAL CIVIL WAR CELEBRATION der Künstlerin Kara Walker.
Anknüpfend an die Ausstellung von Kara Walker in der Londoner Dependance und parallel zu Walkers aktueller Präsentation in der Turbine Hall der Tate Modern, freuen sich Monika Sprüth und Philomene Magers, eine Ausstellung der Künstlerin in ihrer Berliner Galerie zu präsentieren. Neben ihrem Film National Archives Microfilm M999 Roll 34: Bureau of Refugees, Freedmen, and Abandoned Lands: Six Miles from Springfield on the Franklin Road (2009) stellt die Künstlerin in Berlin mit ihrer monumentalen Installation THE SOVEREIGN CITIZENS SESQUICENTENNIAL CIVIL WAR CELEBRATION (2013) eine ihrer Scherenschnitt-Wandarbeiten aus.
Der 2009 entstandene Film beruht auf Walkers Forschung zu den Archiven des Bureau of Refugees, Freedmen, and Abandoned Lands, das 1865 gegründet wurde, um ehemalige Sklav*innen während der Nachkriegszeit beim Übergang in die neu gewonnene Freiheit zu unterstützen. Das Bureau hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die brutale und sinnlose Gewalt, die ehemaligen Sklav*innen während der Phase der Reconstruction widerfuhr, akribisch zu dokumentieren. Walkers Film schildert den durch ausführliche Zeug*innenberichte überlieferten Fall einer Familie, die Opfer eines rassistisch motivierten Brandanschlags wurde. Schauplatz des Films ist die kleine, nördlich von Nashville, Tennessee gelegene Stadt Springfield. Hier schlägt die vermeintlich beschauliche Idylle einer afroamerikanischen Familie jäh in eine von rassistischen Vorurteilen geschürte Horrorvision von Mord, Vergewaltigung und Brandstiftung um. Indem Six Miles from Springfield die Betrachtenden immer wieder enthüllende Blicke auf die Puppenspieler*innen erhaschen lässt, spielt der Film auf die Tradition des Schattenspiels an und nimmt darüber hinaus eine spielerische Haltung ein, die im starken Gegensatz zur Thematik und Botschaft des Films steht. Der farbenfrohe Film mit seiner leidgeprägten Erzählung und handgefertigten Ästhetik hebt sich deutlich von Walkers ansonsten meist monochromer Arbeitsweise ab.
Walkers Figuren karikieren historische Cartoons und Scherenschnitte, mit denen Schwarze Menschen im Laufe der amerikanischen Geschichte, insbesondere zur Zeit des Amerikanischen Bürgerkriegs und des Antebellum South, rassistisch verunglimpft wurden. Galten Schattenrisse von weißen Personen als kultiviert, so wurden die silhouettenhaften Darstellungen von Schwarzen (genauer, aller nicht-weißen) Menschen dafür missbraucht, diese Gruppen herabzusetzen und der Lächerlichkeit preiszugeben. Solche Stereotypen greift Walker ironisch auf, um auf das durch den Rassismus dieser Epoche verursachte Unrecht und Leid aufmerksam zu machen.
Während Six Miles from Springfield dezidiert historische Rassenkonflikte zum Gegenstand hat, verhandelt Walker mit THE SOVEREIGN CITIZENS SESQUICENTENNIAL CIVIL WAR CELEBRATION die heutigen Implikationen dieser Spannungen, allerdings erneut vor dem Hintergrund des Amerikanischen Bürgerkriegs. Das Fries ist Teil eines Werkkomplexes, der aus Walkers Auseinandersetzung mit der White-Supremacy-Bewegung und der amerikanischen Waffenkultur hervorgegangen ist. Mit dem Sujet einer fiktiven Schlachtennachstellung greift Walker die 2011 amerikaweit zelebrierten Jubiläumsfeierlichkeiten anlässlich des 150. Jahrestags des Ausbruchs des Amerikanischen Bürgerkriegs kritisch auf. Mit der großformatigen Scherenschnitt-Wandarbeit, die etwa zwanzig Meter Länge und fünf Meter Höhe misst, thematisiert Walker den in manchen Südstaaten verbreiteten Mythos des „Lost Cause of the Confederacy“, einer pseudohistorischen Ideologie, nach der das Anliegen der im Krieg unterlegenen Konföderierten Staaten nicht bloß gerechtfertigt, sondern heroisch war. Indem Walker einen Bogen von diesem Mythos zur erstarkenden Ideologie der White Supremacy spannt, betont sie die Brisanz der aktuellen Entwicklungen.
Installationsansicht, Kara Walker, ‚THE SOVEREIGN CITIZENS SESQUICENTENNIAL CIVIL WAR CELEBRATION’, Camden Arts Centre, 2013 – 2014
© Kara Walker. Courtesy Camden Arts Centre, Sprüth Magers und Sikkema Jenkins & Co. Photo: Marcus J. Leith
Während Walkers Fries mit den weißen Scherenschnitten auf dunkelgrauem Grund der klassischen Dreiecksform eines Tympanon nachempfunden ist, setzt sich die krude Darstellung der Figuren über den klassischen Regelkanon hinweg. Wie in Six Miles from Springfield gebraucht Walker auch hier ausdrucksstarke Karikaturen, um mittels einer historisch inspirierten, doch rudimentären Ikonografie zu demonstrieren, wie die unterschiedlichen Einstellungen der amerikanischen Bevölkerung zum Thema Rassenkonflikt bis heute Anlass zu Konflikten geben. Walker eignet sich historische und zeitgenössische Figuren der amerikanischen Populärkultur an, um ein Panorama der Klischees des tiefen amerikanischen Südens aufzuzeichnen und die dunklen Seiten menschlicher Verhaltensweisen offenzulegen. Im Uhrzeigersinn betrachtet, verwandelt sich das Panorama schnell von einer feierlichen Szene zu einem von rassistischer Gewalt dominierten Bürgerkriegsszenario, das in Sieg und Unterwerfung gipfelt. Die beißende Anspielung auf die auch heute noch von vielen empfundene Nostalgie für die koloniale Ära des Antebellum ist charakteristisch für Walkers schonungslos-polemischen Einsatz von schwarzem Humor. Was zunächst komisch anmuten mag, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als verstörende Darstellung von Kampfhandlungen, sexueller Nötigung, Folter und Tod – Motive, anhand derer Walker Themen wie Rassismus, Gewalt, Sexualität und Gender aufarbeitet.
Im Zentrum von Walkers Schaffen steht die Auseinandersetzung mit Machtstrukturen anhand von rassistischen und kulturellen Mythen und Stereotypen sowie die Artikulation jenes entsetzlichen Leids, das die Geschichte Amerikas entscheidend geprägt hat und das sich visuell, gesellschaftlich, ökonomisch und politisch bis in die Kultur der Gegenwart fortsetzt. Die Künstlerin fällt ein vernichtendes Urteil über die sich weltweit abzeichnende, desolate Lage der Gesellschaft und stellt unbequeme aber grundlegende Fragen zu individuellen und gesellschaftlichen Haltungen gegenüber Themen wie Rasse und Ungleichheit.
Kara Walker (*1969, Stockton, USA) wurde in Atlanta geboren und lebt und arbeitet in New York. Eine Retrospektive ihrer Arbeit wurde vom Walker Art Center, Minneapolis, USA organisiert (2007) und reiste zum ARC/Musée d’Art Moderne de la ville de Paris; Whitney Museum, New York; Hammer Museum, Los Angeles; und dem Museum of Modern Art in Fort Worth, Texas. Ausgewählte Solo Ausstellungen sind Domino Sugar Refinery, Brooklyn, organisiert von Creative Time, New York (2014); Camden Arts Centre, London (2013); Art Institute of Chicago (2013); Center for Contemporary Art Ujazdowski Castle, Warsaw, Poland (2011); und The Metropolitan Museum of Art, New York (2006). Walker’s Katastwóf Karavan war Teil von Prospect.4, New Orleans (2017-18). Weitere große Ausstellungen fanden am Whitney Museum, New York (2015); MAXXI, Rome (2013); der 11. Havana Biennial (2012); der 52. Biennale in Venedig (2007) und der 1997 Whitney Biennial statt. 2019 wurde bei Sprüth Magers in London eine umfassende Ausstellung von Walkers Filmen gezeigt. Ihre im Rahmen der Hyundai Commission entstandene, monumentale Skulptur Fons Americanus ist bis zum 5. April in der Turbine Hall der Tate Modern zu sehen.
Zeitgleich zeigt die Berliner Galerie die Ausstellung New Mexico von Richard Artschwager.
Vernissage: Dienstag, 10. März 2020, 18:00 – 21:00 Uhr
Ausstellungsdaten: Mittwoch, 11. März – Samstag, 4. April 2020 – ACHTUNG: verlängert bis 19. April 2020!
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