bis 07.11.| #2879ARTatBerlin | Galerie Thomas Schulte präsentiert ab dem 17. Oktober 2020 die zweite Fassung der Solo Show des Künstlers Michael Müller mit dem Titel „Ästhetisches Urteil und Selbstlosigkeit: sich einer Sache aussetzen mit entleertem Blick und ohne Halt“, die sich an die Ausstellung „Anton im Bastrock“ sowie die Installation „Bikini on Mars“ im Corner Space der Galerie anschließt. „Ästhetisches Urteil und Selbstlosigkeit“ wird bis zum 7. November 2020 gezeigt.
Nach dem ersten Teil seiner Einzelpräsentation in der Galerie Thomas Schulte in diesem Herbst, welcher im Rahmen des Gallery Weekend Berlin 2020 eröffnet worden war, nähert sich Michael Müller im zweiten Teil der eigenen Arbeit als Kurator. Unter dem Titel Ästhetisches Urteil und Selbstlosigkeit treibt der Künstler das Thema Abstraktion nochmals weiter.
Indem er eine zweite Version der Ausstellung inszeniert, distanziert sich Michael Müller als Kurator von Michael Müller als Maler und damit auch von seinen eigenen, sich selbst in Auftrag gegebenen Werken. So eröffnet eine zweite Version der Ausstellung auch die Möglichkeit zur Selbstkorrektur. Verschiedene Versionen und Blickwinkel schaffen eine Situation, in der ein Vergleich möglich wird, ästhetische Entscheidungen für „richtig“ oder „falsch“ befunden und so ein ästhetisches Urteil gefällt werden kann.
Was an dieser zweiten Version der Ausstellung im Vergleich zur ersten zunächst auffällt, ist ihre reduzierte, konzentrierte Form. Nahezu alle installativen Elemente wurden aus dem Ausstellungsraum entfernt und der Malerei an den Wänden ihr jeweils eigener Raum zugewiesen. Die großen abstrakten Malereien etwa, die unter dem Titel „Mentale Treibhölzer“ in die Fensterrahmen des Corner Space eingepasst und als Bilder für den Stadtraum installiert gewesen waren, wurden nun aus ihrer Unterwerfung als Bestandteile der ortsspezifischen Installation befreit, aus der Verschmelzung mit der Architektur gelöst und in ihrer Autonomie gestärkt. Jeder der Malereien erhält in der Galerie ihren eigenen Platz.
There is a Rainbow Behind the Hills Nr. 1 (Healing Landscape), 2020
Lack auf belgischen Leinen und Glas, (2x) 206 x 163 cm | 81 x 64 in
Die Frage der Autonomie stellt sich auch in der neuen Hängung im Window Space. Hier zeigt Müller zwei zu aufeinander in Bezug stehende Diptychen aus der Malereiserie „Verschränkte Werke“. Ihre Verwandtschaft zeigt sich bereits in den Titeln der Arbeiten: There is a Rainbow Behind the Hills #1 (Healing Landscape) (2019/20) ist eine zweiteilige abstrakte Malerei in Pastellgelb, Türkisblau, Hellviolett und Weinrot auf roher Leinwand und hinter Glas gemalt. Das zweite Diptychon mit dem Titel There is a Rainbow Behind the Hills #2 (Nachhall) (2020) besteht aus zwei monochromen, zu zwei gleichgroßen Dreiecken gespannten Leinwänden. Beide Dreiecke nehmen jeweils auf einen der beiden Teile des „Hinter-Glas“ Diptychons Bezug: Der Farbton des einen Dreiecks ergibt sich aus einer gleichmäßigen Mischung der vier Farben, in denen das Diptychon gemalt ist. Die Farbe des zweiten Dreiecks ist ebenfalls eine Mischung aus den vier Farben. Hier jedoch entspricht der Anteil der jeweiligen Farbe an dem gemischten Farbton ihrer mengenmäßigen Verwendung im Bild. Obgleich beide Diptychen auf diese Weise eng miteinander „verschränkt“ sind, ist ihre Beziehung nicht auf den ersten Blick sichtbar. Als Werke sind sie autark und doch ist ihre Autonomie nur scheinbar.
Dem zweiten großen Thema der Ausstellung „Selbstlosigkeit“ nähert sich Müller symbolisch mithilfe der Installation einer Bodenschwelle. Die Schwelle zu überschreiten sieht Müller als konstitutiv sowohl für den kreativen Akt als auch für die Rezeption von Kunst. So beschreibt Müller einen inneren Druck – genährt aus ästhetischen Überlegungen zu Form und Farbe sowie einer emotionalen Mixtur aus Angst und Lust – der sich aufbaut und aufstaut und schließlich auf der Leinwand Bahn bricht. Die erste Handlung – der erste Pinselstrich – markiert das Überschreiten einer Schwelle und erfordert Planung, Entschlossenheit und Zielstrebigkeit. Sich selbst als treibende Kraft und Motor des kreativen Prozesses denkend, stößt der Maler jedoch bei der Frage, wann ein Bild „fertig“ ist, auf ein Paradox. Die Antwort wird oftmals erst durch die Überschreitung deutlich, wenn ein Pinselstrich bereits „zu viel“ ist. So scheint nur das Bild selbst seine eigene Vollkommenheit behaupten zu können.
Der Titel des großformatigen Diptychons Nr. 3 & 4, The shoulder on which to bear time (2019/20) gibt Hinweis auf Müllers Verständnis der Rolle des Künstlers im malerischen Prozess. Laut Müller durchläuft ein Bild im Malprozess verschiedene „Lebensphasen“ wie Kindheit, Jugend und Reife.
Der Maler ist verantwortlich für die zeitliche Dauer dieser verschiedenen Stadien eines Bildes jedoch wird er dieser Verantwortung mit der Vollendung des Bildes entbunden. Zwar beginne die Malerei mit einer Bildidee und einem inneren Drang, das Bild sei aber tatsächlich erst dann fertig, wenn es dem Künstler fremd werde. Wenn es nicht länger „sein“, sondern „das“ Bild ist.
Diese Selbstlosigkeit verleiht dem Bild auch die Potenz der Zukunft: Da jede*r Betrachter*in das Bild anders, subjektiv und durch unterschiedliche Wissensschablonen und Filter sieht, wird das Bild im „gesehen werden“ wieder und wieder neu produziert.
Michael Müller, 1970 in Ingelheim am Rhein geboren, ist ein Konzeptkünstler, dessen vielfältiges, umfassendes Oeuvre durch keinerlei einseitige Interpretation entschlüsselt werden kann. Kontinuierlich erweitert er die Methoden seines künstlerischen Ausdrucks und kombiniert Arbeiten auf Papier mit Malerei, textbasierten Arbeiten, Skulptur, Fundstücken, Musik und Performance und hat sogar eine Kosmetiklinie und eine Modekollektion entwickelt. Im Jahr 2018 wurde er für den Preis der Böttcherstraße in der Kunsthalle Bremen nominiert. Wichtige Einzelausstellungen fanden statt in der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden (2016/17) und bei KW Institute for Contemporary Art, Berlin (2015/16).
Soft opening: Samstag, 17. Oktober 2020
Ausstellungsdaten: Samstag, 17. Oktober – Samstag, 7. November 2020
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