bis 22.06. | #4248ARTatBerlin | WENTRUP präsentiert ab 26. April 2024 die Ausstellung Vibrating Images der Künstlerin Nevin Aladağ.
Es wäre leicht, Nevin Aladağs Vibrierende Bilder als Malerei nach dem Ende jeder Form von Medienspezifität zu lesen, als die sprichwörtliche „Malerei in Anführungszeichen“. Denn diese Arbeiten – im Grunde Wandobjekte – inszenieren in erster Linie jene äußeren Markierungen, die die Malerei als mediale Form und Container aufrufen. Ob groß-, mittel- oder kleinformatig, sie alle sind mit einem Schattenfugenrahmen versehen, der die malerische Qualität der Werke unterstreicht und noch stärker in den Vordergrund rückt. Der kräftige, aber konsequent flächige Farbauftrag und die meist organische und wellenförmige, manchmal aber auch fast fraktal gebrochene Form lassen sich auch als Ergebnis subjektiver Entscheidungen verstehen, ebenso wie sie das Subjektive im Sinne eines unmittelbaren Ausdrucks mit Strenge und Nüchternheit durchstreichen. Und schliesslich kommen diese an Gemälde erinnernden Wandobjekte mit eingelassenen Schlaginstrumenten, aufgeschraubten Mundstücken, baumelnden Glocken oder mit Saiten bespannten Klanglöchern daher, die ihre zweite Natur als Resonanzkörper offenbaren – und damit als buchstäblich hohle Gefässe, die auf diese oder jene Weise in Bewegung gesetzt werden können. Wenn also diese leeren Formen, diese Hohlkörper, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne zu „schwingen“ beginnen, dann schwingt die Malerei eindeutig mit. Aber ist sie wirklich die entscheidende Komponente, sozusagen der Grundton?
Zugegeben, Aladağ erforscht das Prinzip der Malerei schon seit einiger Zeit. Seit 2017 arbeitet sie an ihrer Serie Social Fabric, Collagen aus verschiedenen Teppichen unterschiedlicher Herkunft und Bedeutung, die wie Gemälde an der Wand präsentiert werden. Diese Arbeiten bedienen sich sowohl geometrischer Abstraktion als auch ornamentaler Gestaltungsansätze und greifen den Teppich als sozialen Ort der Begegnung und Träger bestimmter kultureller Spezifika auf. Zweifelsohne schwingt diese Serie in Vibrating Images mit. Aber es ist ein anderer Hauptstrang in Aladağs bisherigem Werk, der hier stärker zu sein scheint: die Beschäftigung mit Klang, Körper und Raum, zunächst in Foto- und Videoarbeiten oder Performances, später vor allem in aktivierbaren Skulpturen und Installationen – und nun in Bildern. In den letzten etwa zehn Jahren hatte Aladağ in etwa dieser Reihenfolge zunächst antiquarische Möbelstücke so modifiziert, dass sie ein paralleles Dasein als Musikinstrumente führen – Stühle mit Saiten, Tische mit Glocken, Hocker mit Trommelfellen -, bevor sie begann, eigene Skulpturen zu schaffen, die verschiedene Musikinstrumente in ein und demselben Körper vereinen und von mehreren Performern gleichzeitig gespielt werden können: Klang entsteht hier aus einem resonierenden Körper, der gemeinsam aktiviert wird. Und schließlich konzentrierte sich Aladağ auf den Raum selbst, indem sie in den Ecken des Raumes rautenförmige Gebilde platzierte, die mit Trommelfellen oder in offenen Rahmen gespannten Instrumentensaiten bespannt waren.
Wenn diese Reihe von Werkserien nun mit Vibrating Images fortgesetzt wird, dann gilt, was für die alten Klangarbeiten gilt, auch für diese neuen: Sie sind immer gleichzeitig Kunstwerk und Klangerzeuger oder Körper, sind Möbel oder Skulptur und Instrument in einem – weder noch, immer beides, mindestens zwei, manchmal sogar mehr. Interessanterweise wird aber gerade in dem Moment, in dem die Idee eines „Gemäldes an der Wand“ in die Gleichung eingeführt wird, deutlich, wie sehr sich die Malerei – jetzt: die Medienkategorie – mit den wenigen eingangs erwähnten Markierungen ins Bild zu drängen scheint, wie sehr sie also die Rolle der Dominante im Akkord übernehmen will. Aber ist eine solche Medienkategorie – auch in ihrer selbstreflexiv konzipierten „erweiterten“ Variante, wie sie vor gut 10 bis 15 Jahren wieder die Runde machte – nicht mehr nur ein fernes Echo, ein leises Nachleuchten unter vielen?
Nevin Aladağ, Vibrierende Bilder, Gitarre – Harfe moondance, 2024 Holz,
Acrylfarbe, Gitarren- und Harfenmechanismus, Saiten, 62 x 42 x 14 cm
Letzten Endes, ja. Und doch scheint für die Malerei auch heute noch zu gelten, was damals angesichts der allgemeinen Entgrenzung der Medien konstatiert wurde: dass die Malerei, so leicht erkennbar sie in ihrer „Kunsthaftigkeit“ ist, eine Art Metamarke ist, die für die Kunst selbst einsteht. Insofern könnte man diese „vibrierenden Bilder“ tatsächlich so verstehen, dass sie mediale Kategorien buchstäblich in Schwingung, in Bewegung versetzen. Man könnte das Ganze aber auch etwas entspannter angehen, etwas weniger kategorisch und mehr zeitlich: Dann wäre es gerade die Dimension des Instruments, die Öffnung des Visuellen für eine Immaterialität des Klangs, die eine viel komplexere Verschränkung von Präsenz und Absenz ermöglicht, die einen durchlässigen Raum schafft, in dem auch die Geister der Vergangenheit zu ihrem Recht kommen. Sie dürfen die Bühne wieder betreten, um ihr Stück zu singen. Und dann wieder gehen, wenn es vorbei ist.
-Dominikus Müller
Nevin Aladag lebt und arbeitet in Berlin. Ihr international renommiertes Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet und in Einzelausstellungen im Lehmbruck Museum in Duisburg, DE, in der Hayward Gallery in London, UK, im SFMoMA in San Francisco, USA und zuletzt im Max Ernst Museum in Brühl, DE, gezeigt. Aladag hat an zahlreichen internationalen Gruppenausstellungen und Biennalen wie der 57. Biennale von Venedig und der 11. Biennale von Istanbul oder der documenta 14 in Kassel und Athen teilgenommen.
Her works can be found in the collections of the Centre Pompidou, Paris, FR | Collection Sheikha Hoor al-Qasimi, Sharjah, UE | Collection Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, Vienna, AT | Collection Vehbi Koc Foundation, Istanbul, TR | Busch Reisinger Museum | Harvard Art Museum, New York, US | DeKaBank, Frankfurt, DE | European Investment Bank Art Collection, Luxembourg, LU | Harn Museum of Art, Miami, US | He Art Museum, Guangdong, CN | Istanbul Modern, Istanbul, TR | K11 Art Foundation, Hong Kong, HK | Kunsthalle Hamburg, DE | Kunsthalle Mannheim, DE | Kunstmuseum Stuttgart, DE | Kunstsammlung NRW, Düsseldorf, DE | Lehmbruck Museum, Duisburg, DE | Lentos Kunstmuseum Linz, AT | Österreichische Galerie Belvedere, Vienna, AT | Pinakothek der Moderne, Munich, DE | Sammlung zeitgenössische Kunst des Bundes, Bonn, DE | Neue Nationalgalerie, Berlin, DE | Sammlung Philara, Düsseldorf, DE | Sammlung Wemhöner, Berlin/Herford, DE | SFMoMA – San Francisco Museum of Art, US | Städtische Galerie im Lenbachhaus, Munich, DE.
Vernissage: Freitag, 26. April, 18:00 – 21:00 Uhr
Ausstellungsdaten: Freitag, 26. April bis Samstag, 22. Juni 2024
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Bildunterschrift Titel: Nevin Aladağ, Vibrating Images, guitar – harp moondance, 2024, Wood, acrylic paint, guitar and harp mechanism, strings, 62 x 42 x 14 cm
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