bis 09.11. | #4381ARTatBerlin | ChertLüdde zeigt ab 07. September 2024 zwei Solo-Ausstellungen der Künstlerin Selma Selman und des Künstlers Piero Gilardi.
Anlässlich der Berlin Art Week 2024 eröffnet ChertLüdde am Freitag, den 7. September 2024, die Einzelausstellungen von Selma Selman und Piero Gilardi, die beide zum ersten Mal in ChertLüdde ausstellen. Am Freitag, den 13. September (Gallery Night der Berlin Art Week), wird Selma Selman „Letters to Omer“ aufführen, und die Galerie wird bis 22 Uhr geöffnet sein.
Selma Selman: Ophelia’s Awakening
Anlässlich der Berlin Art Week freut sich ChertLüdde, die erste Ausstellung von Selma Selman in der Galerie mit dem Titel Ophelia’s Awakening zu präsentieren. Indem sie die Galerie in einen Schrottplatz mit ausrangierten Autos und Geräten verwandelt, stellt Selman Hamlets Ophelia als eine sich selbst emanzipierende Figur dar, indem sie sich selbst zum Bildgegenstand macht. Autotüren, Waschmaschinenfronten, eine Badewanne und Motorhauben von alten Mercedes-Fahrzeugen zieren die Galerie als wiederverwendete Leinwände, die mit Selbstporträts und Gedichten aus der fortlaufenden Serie „Letters to Omer“ der Künstlerin bemalt wurden.
„DEAR OMER / WOMEN LIKE ME CRY A RIVER / DRINK IT, AND THEN BUILD A BOAT / IN WHICH THE THEY MAKE PLANS / TO BE BORN AGAIN“ ist auf einer der Motorhauben zu lesen. Auf einem anderen Werk stellt sich die Künstlerin selbst dar, wie sie über eine abwesende Figur hinwegblickt, die sie festhält – eine einzige blutige Träne durchschneidet die Komposition. Diese Schrottbilder unterlaufen die konventionelle Weiblichkeit und Zerbrechlichkeit, die mit Ophelia assoziiert werden, und verwandeln Schmerz und Trauma in kraftvolle Symbole für Widerstandsfähigkeit und Stärke. Anders als die passiven Darstellungen von William Shakespeare oder John Everett Millais ist die Ophelia der Künstlerin trotzig und selbstbestimmt. Selmans Neuinterpretation zeigt eine Frau, die erwacht, um ihre Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen und ihre eigene Geschichte neu zu schreiben.
Als Akteurin in ihrer eigenen Videoarbeit Crossing the Blue Bridge (2024) zeigt Selman sich selbst auf der Flucht vor der Gefahr. Sie verfolgt die Schritte ihrer Mutter während des Bosnienkriegs zurück, als sie am Tag des Waffenstillstands ihr Kind vor dem Anblick der auf der Brücke liegenden Leichen beschützte. Durch die Integration von Selbstporträts und biografischen Elementen wählt die Ausstellung einen Querschnittsansatz, der die Figur der Ophelia von ihren traditionell eurozentrischen Ursprüngen abhebt.
Die Galerie ist außerdem mit dem stechenden Geruch von Benzin parfümiert, einem Kunstwerk mit dem Titel The Most Dangerous Woman (2024), das auch in der jüngsten Einzelausstellung Flowers of Life des Künstlers in der Schirn Kunsthalle Frankfurt zu sehen war (zu sehen bis zum 15. September 2024). Dieses provokante Aroma in Kombination mit den Schrottstücken vertieft Selmans Erkundung von Identität und Erbe. Die Arbeit ihrer Familie auf Schrottplätzen spiegelt die Wirtschaftskrise in Bosnien-Herzegowina und die globalen Kräfte wider, die sich auf Roma-Gemeinschaften auswirken. Durch die Verwendung von Abfallmaterialien in ihrer Kunst verleiht sie Dingen einen Wert, die sonst weggeworfen würden, und hinterfragt die Wahrnehmung der Arbeit, mit der ihre Familie ihren Lebensunterhalt verdient.
Am Freitag, den 13. September um 20 Uhr wird Selma Selman außerdem eine poetische Lesung von Letters to Omer (Briefe an Omer) vortragen, in der sie ihre intimen Gefühle und Wünsche an eine fiktive Figur namens Omer richtet.
Selma Selman, Ophelia’s Awakening, 2024, Öl auf Mercedes-Autotüren, 130 × 88 × 25 cm (51 ⅛ × 34 ⅝ × 9 ⅞ Zoll), 130 × 100 × 30 cm (51 ⅛ × 39 ⅜ × 11 ¾ Zoll), Foto von Marjorie Brunet Plaza, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und ChertLüdde, Berlin
BIOGRAPHIE
Selma Selman (geb. 1991, Bihać, Bosnien und Herzegowina) schloss 2014 ihr Studium der Malerei an der Akademie der Künste in Banja Luka ab und verteidigte 2018 ihren MA an der Syracuse University, New York State, im Bereich Transmedia – visuelle und darstellende Kunst. Von 2021 bis 2023 war sie außerdem Stipendiatin der Rijksakademie.
Ihre Werke verkörpern die Kämpfe ihres eigenen Lebens sowie ihrer Gemeinschaft und nutzen eine Vielzahl von Medien wie Performance, Malerei, Fotografie und Videoinstallationen. Selman bezeichnet sich selbst als Künstlerin mit Roma-Herkunft, nicht als Roma-Künstlerin – eine subtile, aber entscheidende Unterscheidung in ihrem Werk. Ihre Arbeiten sind oft von ihrer persönlichen Geschichte, dem Lebensstil ihrer Familie und ihrer Herkunft inspiriert, wobei sie sich mit Themen wie Kinderheirat, der Rolle der Frau in Roma-Gemeinschaften und Bildung auseinandersetzt. Selmans Ziel ist es, die Vorurteile abzubauen, die ihre Gemeinschaft auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduzieren und ihr das Recht auf Selbstdarstellung verweigern. Sie nutzt ihren persönlichen Hintergrund als eine Linse, durch die sie den universellen menschlichen Zustand und seine Eigenheiten verstehen kann. Selma ist die Gründerin der Organisation Get The Heck To School, deren Ziel es ist, Roma-Mädchen auf der ganzen Welt, die von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen sind, zu ermutigen und zu stärken.
Ihre Arbeiten werden derzeit im Hamburger Bahnhof – Nationalgalerie der Gegenwart, Berlin, und in der Schirn Kunsthalle, Frankfurt, ausgestellt. Sie hat auch an Ausstellungen teilgenommen bei: Autostrada Biennale, Prizren (2023), documenta 15, Kassel (2022), Manifesta 14, Prishtina (2022), Kunstraum Innsbruck (2022), MO Museum, Vilnius (2022), Ludwig Museum, Budapest (2022), Kasseler Kunstverein, Kassel (2021), Nationalgalerie von Bosnien und Herzegowina, Sarajewo (2021), acb Galéria, Budapest (2021), Queens Museum, New York (2019) und Maxim Gorki Theater, Berlin (2017).
Piero Gilardi: Foam Rubber Revolution
Piero Gilardi (1942-2023, Turin, Italien) war ein bekannter italienischer Künstler und Aktivist, der für seinen innovativen und experimentellen Ansatz in der Kunst gefeiert wurde, insbesondere durch seine Tappeti-Natura (Naturteppiche). Diese weichen, skulpturalen Werke aus handgeschnitztem und bemaltem Polyurethanschaum ahmten auf lebendige Weise natürliche Umgebungen wie Flussufer, Meeresufer, Wälder, Höhlen, Gemüsegärten und Felder nach. Gilardis künstlerischer Weg begann in den frühen 1960er Jahren, als die Arte Povera in Turin aufkam. Er spielte eine entscheidende Rolle in dieser Bewegung, nicht nur als Künstler, sondern auch als Theoretiker, Kritiker und Kurator sozialer Initiativen und diente als wichtiger Bezugspunkt für andere Künstler.
Zur Berlin Art Week 2024 präsentiert ChertLüdde Foam Rubber Revolution, eine bedeutende Hommage an Gilardi, kuratiert von Marco Scotini und organisiert in Zusammenarbeit mit der Fondazione Centro Studi Piero Gilardi in Turin und der Galleria Giraldi in Livorno. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl von Tappeti-Natura aus den 1960er Jahren, die sich über die Wände und Böden der Galerie erstrecken und zu einer immersiven und hyperrealistischen Landschaft werden, die in einem künstlichen, aber weichen und einladenden Medium eingefroren ist. Diese Werke waren ursprünglich nicht nur für die visuelle Betrachtung, sondern auch für die Interaktion konzipiert. Die Betrachter konnten sich auf sie legen, mit ihnen spielen und sich auf sie einlassen, denn sie boten Räume, die als Betten, Nischen und Schaumstoffspielplätze konzipiert waren und den Körper willkommen hießen.
Die Ausstellung soll die Essenz von Gilardis Glauben an die Kunst als Werkzeug für sozialen Wandel und Umweltbewusstsein einfangen. Sie spiegelt sein lebenslanges Engagement wider, die Grenzen der Kunst zu erweitern und die Verbindung von Natur, Technologie und menschlicher Erfahrung zu betonen. Neben den Skulpturen wird auch Archivmaterial ausgestellt, das seinen ökologischen Aktivismus, seine politischen Überzeugungen und sein Engagement für soziale Gerechtigkeit beleuchtet.
Wie Gilardi einmal sagte: „Kunst bildet, indem sie Wissen vermittelt, aber auch Emotionen durch einfühlsame Kommunikation“. Indem er die Nähe zur Natur durch synthetische Materialien heraufbeschwor, vertrat er eine techno-utopische Vision, die die öffentliche Wahrnehmung sowohl der Kunst als auch der Umwelt revolutionierte. Diese Ausstellung ist ein Zeugnis für Gilardis bleibendes Vermächtnis und zeigt, wie sein Werk weiterhin die Art und Weise inspiriert und herausfordert, wie wir Kunst und die natürliche Welt wahrnehmen und mit ihnen interagieren.
Piero Gilardi neben der Installation „PHOSPHORE“, 2008 im MAXXI – Nationalmuseum für Kunst des 21. Jahrhunderts, „Nature Forever“, 2017, Foto von Musacchio und Ianniello, mit freundlicher Genehmigung von ChertLüdde, Berlin und Fondazione Centro Studi Piero Gilardi, Turin
BIOGRAFIEN
Piero Gilardi (1942-2023, Turin) schuf 1965 seine ersten Werke aus Polyurethanschaum, ein Medium, das er später international in Städten wie Paris, Brüssel, Köln, Hamburg, Amsterdam und New York ausstellen sollte. Ab 1968 hörte er auf, reguläre Kunstwerke zu produzieren, um seinem Interesse an Materialien im Zusammenhang mit den technologischen Fortschritten der Zeit nachzugehen und sich mit den neuen künstlerischen Trends wie Arte Povera, Land Art und Antiform Art der späten 60er Jahre zu beschäftigen. Dies führte dazu, dass er an den ersten beiden internationalen Ausstellungen dieser neuen Tendenzen im Stedelijk Museum in Amsterdam und in der Berner Kunsthalle teilnahm.
Als politischer Aktivist und Förderer der Jugendkultur organisierte er mehrere Erfahrungen mit kollektiver Kreativität in Afrika, Südamerika und Reservierungen in den USA. 1981 nahm er seine Tätigkeit in der Kunstwelt wieder auf und stellte Installationen aus, begleitet von kreativen öffentlichen Workshops. 1985 begann er mit dem IXIANA PROJECT ein künstlerisches Forschungsprojekt mit neuen Technologien (das später im Parc de la Villette in Paris präsentiert wurde). Es handelte sich dabei um einen Technologiepark, in dem die Öffentlichkeit künstlerisch mit digitalen Technologien experimentieren konnte. Biennale in Venedig eine „virtuelle“ Halle, die auf seinen jahrzehntelangen Forschungen basierte. In jüngster Zeit hat er eine Reihe multimedialer interaktiver Installationen geschaffen und intensiv an internationalen Ausstellungen wie der ARTEC-Biennale in Nagoya, ARTIFICES 3 Paris und MULTIMEDIALE 4 Karlsruhe teilgenommen. Seit vielen Jahren ist er Vorsitzender der internationalen Vereinigung „Art Technica“, die zwei Artlab-Ausstellungen für neotechnologische Kunst in Turin veranstaltet. Er hat zwei Bücher mit theoretischen Überlegungen zu seinen verschiedenen Forschungsmethoden veröffentlicht: Dall’arte alla vita, dalla vita all’arte (Von der Kunst zum Leben, vom Leben zur Kunst), La Salamandra, Mailand 1981 und Not for Sale, Mazzotta, Mailand 2000 und Les Presses du reel, Dijon 2003. Er schrieb auch Artikel für verschiedene Kunstzeitschriften wie Juliet und Flash Art.
Marco Scotini ist Leiter der Abteilung für visuelle Künste und kuratorische Studien an der NABA (Mailand-Rom), künstlerischer Leiter des FM Center for Contemporary Art und Leiter des Ausstellungsprogramms im Parco d’Arte Vivente (PAV) in Turin. Er hat den albanischen Pavillon auf der Biennale von Venedig (2015), drei Ausgaben der Biennale von Prag, die Biennale von Anren (2017) und die zweite Biennale von Yinchuan (2018) kuratiert und an zwei Ausgaben der Biennale von Bangkok (2020, 2022) mitgearbeitet. Sein Projekt Disobedience Archive reist seit 20 Jahren durch internationale Museen und wurde kürzlich zur 17. Istanbul Biennale, Timisoara Architecture Biennial und 60. Venedig Biennale eingeladen.
Vernissage: Samstag, 7. September 2024, 18:00 – 21:00 Uhr
Performance “Letters to Omer”: Freitag, 13 September 2024, 20:00 Uhr
Ausstellungsdaten: Samstag, 7. September bis Samstag, 9. November 2024
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Bildunterschrift Titel: Selma Selman, Ophelia’s Awakening, 2024, Öl auf Mercedes-Motorhaube, 146 × 146 × 20 cm (57 ½ × 57 ½ × 7 ⅞ Zoll), Foto von Marjorie Brunet Plaza, mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin und ChertLüdde, Berlin
Ausstellung Selma Selman, Piero Gilardi – ChertLüdde | Zeitgenössische Kunst in Berlin | Contemporary Art | Ausstellungen Berlin Galerien | ART at Berlin