bis 15.02. | #4567 ARTatBerlin | Galerie alexander levy zeigt seit 17. Januar 2025 die Gruppenausstellung „Kin Is Not Kind“ der Künstler*innen Julius von Bismarck, Ximena Garrido-Lecca, Ayesha Hameed, Anne Duk Hee Jordan, Berenice Olmedo, Meret Oppenheim und Simon Speiser.
Die Ausstellung „Kin is Not Kind“ erforscht die Verbindungen zwischen Menschen und Nicht-Menschen, mit einem Fokus auf die Wechselwirkungen von Körpern, Technologie und Natur. Siebeleuchtet, wie historische Erfahrungen und Erinnerungen, geprägt durch Kolonialismus und die Ausbeutung von Mensch und Umwelt, unser Verständnis von Identität, Ökologie und Koexistenz beeinflussen. Die Arbeiten der Ausstellung beschäftigen sich mit der Konstruktion von Verwandtschaft und deren Auswirkungen.
Die Künstlerin Ximena Garrido-Lecca untersucht in ihren Arbeiten die ökologischen, sozialen und kulturellen Folgen der Ausbeutung natürlicher Ressourcen, wobei sie sich insbesondere dafür interessiert, wie Technologisierung und Urbanisierung die Beziehung zwischen Natur und Menschen historisch beeinflusst haben. Ein wiederkehrendes Thema in Garrido-Leccas Arbeiten sind die Auswirkungen des Kupferabbaus in den ländlichen Regionen Perus. Die extraktiven Praktiken des Kolonialismus und ihrer fortwährenden Gegenwart hinterlassen nicht nur zerstörte Landschaften, sondern haben auch gravierende gesundheitliche Folgen für die lokalen Gemeinschaften, während Investor*innen und Konsument*innen weiterhin überwiegend aus dem globalen Norden stammen.
Die Verwendung von Kupfer in der Arbeit „Signal Restorations: Air, Flame, Rain and Soil Sensors“ verweist auf die zentrale Bedeutung des Metalls für die technischen Innovationen der Moderne, die im Kontrast zu den rituellen und spirituellen Verwendungen des Materials in indigenen Gesellschaften der Anden steht. Das Verhältnis zur Natur in vorspanischen Kulturen beruht auf einem Konzept der Gegenseitigkeit: nehmen wir etwas von der Natur, wird es durch Opfergaben oder Rituale wiederzurückgegeben. Die Arbeit erinnert an einen Vermittlungsschrank aus einer Telefonvermittlungszentrale des 20. Jahrhunderts, in dem statt Kabeln und elektrischen Verbindungen natürliche Elemente wie Steine, Kopalund Erde miteinander verbunden sind. Der Titelverweist auf die vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer, deren Balance in der Arbeit wiederhergestellt wird. Garrido-Lecca hinterfragt patriarchale Narrative und die Dominanz westlicher Wissenschaft, das alternative Formen des Wissens häufig abwertet und ausschließt.
Die Künstlerin Berenice Olmedo thematisiert in ihren Arbeiten gesellschaftliche Normen von Körpern und dem menschlichen Streben nach der Erstellung und Einhaltung von Standards aller Art. Durchdie Verwendung von Prothesen und medizinischen Materialien hinterfragt sie Vorstellungen von Ganzheit und Perfektion. Ihre Arbeiten untersuchen die Rigidität von Körperformen, die im Gefolge kolonialer, patriarchalischer Objekt-Subjekt-Strukturen entstanden sind, und schlägt alternative Horizonte vor, die diese Ausdrucksformen der Macht und ihre normativen Formen der Zerstörung ablehnen. Dabei ist die Auflösung von Grenzen von großem Interesse: technische Objekte werden zu fragilen Körpern, Körper werden zu Objekten und Geräten. In ihrer Arbeit „Canek“ kombiniert Olmedo orthopädische Prothesen, Absaugventile für Prothesen und andere medizinische Hilfsmittel. Sie erstellt Abgüsse verschiedener Prothesen und lässt diese Fragmente miteinander verschmelzen. Die verchromte Halterung, welche die Form mit der Wand verbindet, wirkt steril und klinisch und steht im starken Kontrast zu den geschwungenen Formen der Körper.
Die binären Kategorien, die zur Trennung und Entscheidung darüber dienen, wer als Subjekt in den Hierarchien von Normen, Schönheit oder Vollständigkeit betrachtet wird, werden in ihren Arbeiten thematisiert und neu verhandelt. Berenice Olmedo schlägt so alternative Möglichkeiten vor, um fragmentierte Identitäten und Verwundbarkeit als Formen von Stärke und Widerstand zu betrachten.
Anne Duk Hee Jordans Arbeiten entfalten postanthropozäne Szenarios, in denen der nicht-menschliche Wesenim Zentrum des Geschehens stehen, um über die Schnitt stellen von Kunst, Wissenschaft, Gesellschaft und Identität nachzudenken. Jordan untersucht die Auswirkungen von Technologie auf die Natur und hinterfragt, wie diese unser Verhältnis zur Welt, zu anderen Lebewesen und zueinander prägt. Beim Betreten der Galerie treffen Besucher*innen auf eine lebendige Installation aus kinetischen Roboterblättern, Glasskulpturen, Rindenmulch, Baumstämmen und Ästen. In mitten dieser hybriden Landschaft aus organischen und künstlichen Elementen kriechen gläserne Nacktschnecken, die das Fortpflanzungsverhalten dieser Tiere thematisieren. Jordan hinterfragt westliche, patriarchalische Normen unseres Sexualverständnisses und lenkt den Blick auf die Vielfalt und Überlebensstrategien der nicht-menschlichen Welt. Schnecken, die über männliche und weibliche Fortpflanzungsorgane verfügen und telepathische sowie elektromagnetische Fähigkeiten besitzen, werden zu Symbolen für alternative Formen von Verwandtschaft und Verbindung.
Die Installation lädt dazu ein, das Leben im „Schneckentempo“ zu erleben, ein Gefühl der gegenseitigen Fürsorge zu entwickeln und unsere Existenz als Teil eines größeren Netzwerks von Beziehungen zu begreifen. Jordans motorisierte Blätter-Skulpturen aus der Serie Artificial Stupidity stellen der Effizienz moderner Technologie das Konzept der „künstlichen Dummheit“ entgegen, das Unproduktivität als Chance begreift, unser Verhältnis zur Welt neu zu bewerten. Mit der Werkserie Radicchio, die modische Zutaten als Symbolefür monokulturelle Landwirtschaft nutzen, entlarvt Jordan unser ausbeuterisches Verhältnis zur Natur. Jordans Installation betrachtet die die Wechselwirkungen zwischen Mensch, Technologie und Natur und schafft so Berührungspunkte zwischen unterschiedlichen Formen von Leben und Verwandtschaft.
Julius von Bismarcks Arbeiten zeichnen sich durch die intensive Auseinandersetzung mit Wahrnehmungsphänomenen und Wirklichkeitskonstruktionen aus. Die Verhandlung von Natur als gesellschaftlich konstruierte Fiktion ist ein zentraler Schwerpunkt seiner Arbeit. Die Fotografien der Serie „We Were All Naked“, entstanden in dem artenreichen Madagaskar, zeigen Landschaften, die durch die Intervention des Künstlers befremdlich verändert wurden: Pflanzen und Böden sind in Plastikfolie eingewickelt und vakuumiert, wodurch sie von der lebensnotwendigen Luft abgeschnitten werden. Die glänzende Oberfläche der Folie, die wie ein Spinnennetz über die Natur gespannt ist, verleiht der Umgebung in eine sterile, unheimliche Atmosphäre. Der Kontext der entvölkerten Szeneist kaum zu erahnen. Die maschinell gefrästen Aluminiumrahmen der Fotografien verstärken diesen Eindruck, indem sie den Blick wie durch ein Raumschifffenster auf eine andere Welt lenken. Das Cyborg-Manifest Donna Haraways verkörpernd konfrontiert uns von Bismarck in dieser Serie mit der Tatsache, dass es für nicht-menschliche Lebewesen oft unmöglich ist, sich schnell genug an die Bedingungen ihrer sich durch die menschliche Technologisierung verändernden Umwelt anzupassen. Während Menschen ihre Umwelt manipulieren und isolieren können, bleibt dies den meisten nicht-menschlichen Lebewesen verwehrt.
Simon Speiser untersucht in seiner künstlerischen Praxis die Beziehung zwischen Natur, Technologie und Fiktion, wobei er neue Erzählräume erschafft, die physische und digitale Welten miteinander verweben. Er erschließt uns imaginäre Kosmen, die Natur als hybridisierte und konstruierte Dimension inszenieren. In seiner Serie über die Welt der Matuhi – von Menschen künstlich geschaffene Vogelwesen – entfaltet sich ein narratives Universum, das die Idee von Natur neu interpretiert: als ein künstlich konstruiertes Konzept, das aus Erinnerung und technologischer Vorstellungskraft entsteht. Die VR-Arbeit In a Young World of Resplendent Glitter ist das 5. Kapitel dieser Erzählung und beschreibt eine Welt, in der die Matuhi in eine von Technik dominierte Realität hineingeboren werden, ohne je eine natürliche Umgebung erlebt zu haben.
Die Menschheit beutet die telepathischen Fähigkeiten der Vögel als Kommunikationsnetzwerk aus. Auf der Suche nach einem Zufluchtsort erschaffen die Matuhi einen imaginären Wald – eine idealisierte Version von Natur, die auf gesammelten Informationen über natürliche Lebensräume basiert. Diese Vision eines hypothetischen, in der Vergangenheit liegenden Paradieses manifestiert sich als parallele Dimension, in der Natur nicht mehr physische Realität, sondern ein Produkt technologischer Sehnsucht ist. Die Arbeit thematisiert die menschliche Neigung, Natur als Projektionsfläche für innere Ruheund Balance zu idealisierenund zieht subtile Parallelen zu modernen Überlegungen über KI als ein von Menschen geschaffenes System, das nach Autonomie oder eigenen Existenzen streben könnte. Ergänzt wird die VR-Arbeit durch einen gewebten Wandteppich, der die digitale Ästhetik in analoge Materialien übersetzen und somit um eine taktile Ebene erweitert. Die Arbeit verweist damit auf die visionären Ansätze von Ada Lovelace, die den Grundstein für die Computertechnologie legten.
Simon Speiser, Untitled, 2018 Woven cotton 135 x 180 cm; Foto: Marcus Schneider
Im hinteren Raum begegnen wir der mehrteiligen Arbeit „An Untalas of Coconut“ von Ayesha Hameed, die im Zuge einer Forschungsreise durch Sri Lanka und Indien entstanden ist. Hameed widmet sich darin der vielschichtigen Geschichte der Kokosnuss, die als Zeuge kolonialer Ausbeutung und Migration entlang des Indischen und Pazifischen Ozeans betrachtet wird. Die Arbeit zeigt, wie tief verwoben Geschichten und Erinnerungen in die Natur und Kultur eingeschrieben sind. Die Installation besteht aus 67 quadratischen Siebdrucken, die in Schwarz-Weiß eine fragmentierte Erzählung der Kokosnuss visualisieren. Sie beginnt mit der Spitze der Palme, führt den Blick entlang des Stammes und endet beiden am Boden gestapelten Nüssen. Doch die visuelle Abfolge wird immer wieder von Lücken unterbrochen, wodurch ein Gefühl der Unvollständigkeit entsteht – eine Metapher für verlorene Geschichten und unterbrochene Narrative. Ergänzt wird die Arbeit durch Textfragmente, die direkt auf den Boden unter den Siebdrucken positioniert sind und eine Geschichte der Kokosnuss erzählen. Die Drucke erinnern an kolonial geprägte Landschaften, die durch die Zirkulation von Ressourcen und die Ausbeutung von Menschen und Natur gezeichnet wurden.
Auf der gegenüberliegenden Wandhängt die Arbeit Diana auf der Elsternjagd, von Meret Oppenheim. Oppenheim entwickelte ein ganzheitliches Verständnis der menschlichen Existenz durch die Erforschung des menschlichen Unterbewusstseins und der transformativen Kräfte der Natur. Indem sie sich der Vergänglichkeit und Verletzlichkeit des Lebens hingab, machte die Künstlerin das Prinzip der Metamorphose zu einer zentralen künstlerischen Strategie. Die Wandelbarkeit und Verwandlung ihrer eigenen Identität befähigte sie, sich von äußerer Fixierung und gesellschaftlicher Determination zu lösen und sich stattdessen mit den natürlichen Verwandlungsprozessen der Welt zu verbinden.
Vernissage: Freitag, 17. Januar 2025, von 18:00 bis 21:00 Uhr
Ausstellungsdaten: Freitag, 17. Januar– Samstag, 15. Februar 2025
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Bildunterschrift Titelbild: Anne Duk Hee Jordan, Slippy Slimy Slug, Blown glass with iridescent shine, 61 x 45,7 x 15,3 cm; Foto: Marcus Schneider
Gruppenausstellung Kin Is Not Kind – Galerie alexander levy | Contemporary Art – Zeitgenössische Kunst in Berlin – Ausstellungen Berlin Galerien – ART at Berlin